Die Natur schafft sich ihren Weg: So könnte man die Fotografien von Sven Fennema mit wenigen Worten umschreiben. In seinem Buch „Neuland“ stellt er Orte vor, die von der Natur zuerst in Kunstwerke verwandelt wurden, um wenig später mit dramatischem Ausmaß zerstört zu werden.

Das Bett scheint mit einer weichen grünen Decke zugedeckt zu sein. Die Farbgebung ist aufeinander abgestimmt, alles ist in Grüntönen gehalten. Der alte Fernseher wirkt wie ein Stilbruch, er passt nicht zu dem stimmigen Konzept des Raums. Was sich im ersten Augenblick nach der Beschreibung eines schönen Zimmers anhört, ist auf einem Bild im Werk „Neuland“ zu sehen. Es zeigt die Überreste eines Hotels, das vor vielen Jahren nach einem Großbrand geschlossen wurde. Die Natur hat die Zimmer verändert, denn überall findet man Gras und Moos.

Neuland: Eroberungen der Natur - Partnerlink

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Fotograf Sven Fennema hält solche Entwicklungen mit seiner Kamera fest. Er dokumentiert die Kunstwerke, die Mutter Natur schafft. In verlassenen Schlössern, in Fabriken und Geisterstädten, in Villen und Kirchen findet er immer wieder lohnenswerte Objekte, die er auf Papier festhält. Für den Fotografen ist es ein knappes Zeitfenster, in dem sich die letzten Spuren von Fortschritt und Zivilisation langsam mit der Natur vermischen, die sich immer deutlicher ihren Weg bahnt. Am Ende zerstört sie den kläglichen Rest und schafft so immer wieder neue und beeindruckende Kunstwerke.

Typisch für seine Sicht der Dinge ist eine italienische Kirche, die er in Venetien ausfindig gemacht hat. Der Altar ist von Weinranken bewuchert, die Kirchenkuppel ist nur noch ein kleiner Rest, der ehemals schöne Stuck an den Wänden ist zerstört. Die Fresken sind von Moos überzogen, der Putz ist von Pilzen befallen. Dem aufmerksamen Beobachter entgeht nicht, dass es in dem verlassenen Kirchenschiff schimmelig riecht. Natürlich nimmt das der Leser nicht wahr, doch die Bilder sprechen ihre eigene Sprache. Gerade in Sakralbauten scheint es, als sollte sich die Natur Schritt für Schritt zurückerobern, was der Mensch früher besetzt hat.

Der Fotograf aus Krefeld hat sich auf Lost Places dieser Art spezialisiert. Zu Beginn seiner Karriere fiel er durch seine Bücher „Nostalgia“ und „Tales of Yesteryear“ auf. Seines neues Buch „Neuland“ ist ein Bildband, das sich als Symbiose von Zerfall und Aufbau sieht. Der Autor ist dafür durch Deutschland, durch Frankreich und Italien, durch Belgien, Luxemburg bis nach Polen gereist und hat Orte festgehalten, die vom Menschen verlassen sind und die sich die Natur zurückerobert hat. Zu seinen bevorzugten Objekten gehören Dörfer, Villen und Paläste, Schlösser und Kirchen. Viele seiner Besuche sind gefährlich, wenn Treppen plötzlich unter ihm nachgeben oder wenn Mauersprünge zur Stolperfalle werden.

Ein besonders beeindruckendes Beispiel für sein Wirken ist eine polnische Kirchenruine in Zeliszow. Das Gotteshaus hat den Zweiten Weltkrieg überstanden, gegen Ende 1945 wurde die Tür zugemauert. Im Jahr 2013 wurde Geld wir eine Sanierung gespendet, doch lediglich das Dach des verwilderten Gebäudes ist repariert. Heute ist die verwilderte Kirche ein Ort, an dem sich bevorzugt Brautpaare fotografieren lassen. Fennema hält dieses Haus in seiner ganzen Schönheit fest. Das Bild dürfte unter allen anderen Werken einen besonders beeindruckenden Platz einnehmen.

Titelbild: ©Sven Fennema/Frederking & Thaler Verlag